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Angst vor Konsum-Kollaps: Das ist wirklich dran an der Theorie vom vorgezogenen Kaufrausch

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Wenn die Inflation steigt, sollen die Leute verzweifelt kaufen, aus Angst vor noch höheren Preisen – bis der Konsum kollabiert! Aber stimmt das wirklich?

Stell dir mal folgendes Problem vor: Du stehst im Autohaus und willst dir einen neuen fahrbaren Untersatz kaufen, aber es ist schon ganz schön teuer geworden! Auf einmal kostet der Neuwagen viel mehr als vor 3 Jahren. Vor Corona war das irgendwie alles noch angenehmer. Du fragst nach einem Rabatt, aber der Autohändler raunt dir nur zu: “Da geht leider nichts, also ich würde ja zuschlagen, bevor der Karren im nächsten Jahr nochmal 5.000 Euro mehr kostet …”

Viele wundern sich gerade, warum der Konsum noch so gut läuft, besonders in den USA brummt die Wirtschaft nach wie vor. Und das obwohl die Inflation so hoch notiert wie seit Jahrzehnten nicht und viele Menschen mit den steigenden Preisen kämpfen. Wie kann das sein? Für einige liegt die Erklärung auf der Hand: Die Menschen kaufen aus Verzweiflung! Die Theorie vom vorgezogenen Konsum geht so: Weil die Leute Angst haben, dass sie es sich bald gar nicht mehr leisten können, kaufen sie lieber jetzt als nie. Und die Hardliner glauben, dass das Papiergeld ja sowieso bald gar nichts mehr wert ist. Erleben wir also gerade das Phänomen des vorgezogenen Konsums? Und gibt es bald ein böses Erwachen, weil niemand mehr etwas kauft?

Es wäre genau das Gegenteil davon, was Theoretiker bei einer Deflation erwarten. Denn da soll es genau andersherum laufen. Dann sollen die Leute nichts kaufen, weil sie davon ausgehen, dass es noch billiger wird. Aber halten diese Theorien der Praxis stand? Schauen wir uns doch einfach mal die Konsumgeschichte der USA seit 1959 an – und berücksichtigen dabei natürlich auch die Inflation. Wichtig: Die Konsumausgaben im Folgenden sind natürlich inflationsbereinigt, also real.

JahrInflationsrate in %Persönliche Konsumausgaben in Mrd. USD (real)
20228,014.130,3
20214,713.754,1
20201,312.700,7
20191,813.092,3
20182,412.837,3
20172,112.478,2
20161,312.187,7
20150,111.893,0
20141,611.515,3
20131,511.211,7
20122,111.047,4
20113,110.898,4
20101,610.716,0
2009-0,310.515,6
20083,810.654,7
20072,910.638,7
20063,210.386,2
20053,410.093,8
20042,79.748,6
20032,39.394,4
20021,69.106,3
20012,88.880,3
20003,48.665,2
19992,28.249,4
19981,57.828,6
19972,37.433,8
19962,97.163,9
19952,86.923,7
19942,66.725,2
19933,06.474,4
19923,06.256,3
19914,26.034,5
19905,46.023,9
19894,85.904,5
19884,15.736,9
19873,65.507,0
19861,95.326,5
19853,55.115,0
19844,44.863,2
19833,24.619,6
19826,24.372,5
198110,44.310,0
198013,54.250,9
197911,34.263,8
19787,64.164,3
19776,53.990,0
19765,83.828,2
19759,13.625,7
197411,03.546,6
19736,33.576,3
19723,33.407,0
19714,23.210,6
19705,93.092,7
19695,43.021,5
19684,22.912,6
19672,82.754,2
19663,02.674,3
19651,62.530,8
19641,32.379,8
19631,32.246,2
19621,22.157,2
19611,12.055,6
19601,52.014,3
19590,91.960,4
Quellen: FactSet; U.S. Bureau of Labor Statistics; U.S. Bureau of Economic Analysis

Das Fazit können wir kurz halten: Der Konsum in den USA ist seit mehr als 60 Jahren unverwüstlich. Und nochmal zur Klarstellung: Es handelt sich hier um die inflationsbereinigten Zahlen, also den realen Konsum! Die Amerikaner konsumierten also auch stabil, wenn die Preise stiegen. Beispielsweise gipfelte die Inflation im Jahr 1974 mit 11 Prozent, der reale Konsum schrumpfte minimal, weil die Inflation im Vorjahr mit 6,3 Prozent auch schon relativ hoch ausfiel, aber von einem Konsum-Kollaps keine Spur. Besonders interessant ist die Episode von 1979 bis 1981. Die Inflation war stabil zweistellig und hier könnte man vermuten, dass die Leute die Geduld verloren haben und viele Anschaffungen vorgezogen haben. Aber auch hier Fehlanzeige: Nach den 3 Jahren zog der Konsum an, was die fallende Inflation wohl auch begünstigte. Auch im letzten Jahr stieg der Konsum weiter – und das obwohl die Menschen im Jahr 2021 zum ersten Mal seit langer Zeit wieder mit einer höheren Inflation konfrontiert waren und sicher auch einiges nachzuholen hatten nach den Lockdowns. Verzögerungs-Effekte sollten wir dabei natürlich nicht ignorieren, denn einige Güter waren 2021 wahrscheinlich einfach nicht zu bekommen.

Aber eines lässt sich feststellen: Trotz heftiger Inflations-Episoden bleibt der US-Konsument seit Jahrzehnten stabil. Von der Theorie des vorgezogenen Konsums lässt sich in der Historie kaum etwas finden – höchstens einzelne Seitwärtsbewegungen traten auf. Nun sagt die Vergangenheit aber zum einen nichts über die Zukunft aus und wir haben zum anderen bei dieser recht schlichten Untersuchung sämtliche anderen Parameter außer Acht gelassen, wie beispielsweise die Entwicklung der Reallöhne oder der Kaufkraft. Das könnte dieses Mal einen Unterschied machen: Denn beispielsweise stiegen die Reallöhne in den 1960er Jahren stabil an bis ins Jahr 1973. In den letzten Monaten häuften sich dagegen die Schlagzeilen, dass die Reallöhne sogar stärker gefallen sind als eh schon befürchtet. In der Tat sind die Löhne zuletzt in der Eurozone weniger stark gestiegen als die Gewinne der Unternehmen (siehe Chart unten). Also ein Risiko für die Konjunktur, das sich nicht leugnen lässt.

Angst vor Konsum-Kollaps: Das ist wirklich dran an der Theorie vom vorgezogenen Kaufrausch, Beating Beta

Aber auch hier sollten wir nochmal 2 Einschränkungen machen. Erstens kam es auch in der Vergangenheit schon zu fallenden Reallöhnen – beispielsweise Ende der 1970er Jahre. Die Inflation war damals alles andere als niedrig, doch der Konsum wuchs trotzdem Jahr für Jahr. Und zweitens: Wenn die Löhne schwächeln, dann ist das auch ein Indiz dafür, dass das bald bei der Inflation der Fall sein könnte. Denn eine gefürchtete Lohn-Preis-Spirale wird dann umso unwahrscheinlicher und die Unternehmen bekommen weniger Druck von der Kostenseite.

Eine Prognose für den Konsum ist alles andere als einfach, aber ein scharfer Einbruch erscheint doch eher unwahrscheinlich. Vor allem, weil vieles darauf hindeutet, dass die Inflation sich weiter beruhigen wird. Wichtig: Was wir hier untersucht haben, gilt natürlich nur für eine „normale“ Inflation, die sich gerade noch im Zaum halten lässt. Für eine Hyperinflation (monatliche Inflationsraten von 50 Prozent) oder galoppierende Inflation über viele Jahre hinweg gelten wahrscheinlich andere Gesetze. Wer sieht, wie einem der Geldwert täglich zwischen den Händen zerrinnt, wie Butter bei 40 Grad im Hochsommer, der wird womöglich kaufen, was er kriegen kann. Von einem solchen Szenario sind wir aber momentan noch so weit entfernt wie Hertha BSC von der deutschen Meisterschaft …